Über Framing im Nachrichtenjournalismus reden wir zu wenig. Ich habe aufgeschrieben, was Framing ist. Und ein paar Klassiker zusammengetragen, samt Alternativen. Im ersten Aufschlag geht es um geschlechtergerechte Sprache.
Ihr habt weitere Vorschläge? Ich erweitere gerne die Liste.
In a nutshell: Was ist Framing?
„Journalist*innen recherchieren die Fakten und berichten objektiv. Menschen bilden sich dann unvoreingenommen auf Basis der Fakten eine Meinung.“ Das ist ein Mythos und von der Linguistik- und Kognitionsforschung widerlegt. Fakten sind entscheidend. Genauso entscheidend ist es, mit welchen Worten die Fakten beschrieben werden [1]. Sprache beeinflusst, wie wir denken und handeln [2]. Wörter kommen mit sogenannten Frames, die bestimmte Perspektiven und Werte gleich mitliefern und die Rezipient*innen beeinflussen. Ein Frame ist ein gedanklicher Deutungsrahmen. Er ermöglicht es dem Gehirn, Wörtern Sinn zu geben. Frames rufen unser gesammeltes Wissen auf, das, was wir in Zusammenhang mit einem Konzept erlebt und erfahren haben. Menschen können Fakten nur innerhalb von Frames interpretieren. Sie werden über Sprache aktiviert.
Metaphern: Tier oder Virus?
Dieses Beispiel illustriert gut die Macht der Wörter: In einem wissenschaftlichen Versuch an der Stanford Universität wurde Testpersonen zwei Versionen eines Textes gegeben, der das Kriminalitätsproblem in einer fiktiven Stadt beschrieb. Die Texte unterschieden sich nur im ersten Satz. Einmal wurde die Kriminalität als „wildes Tier“ bezeichnet, einmal als „Virus“. Die Versuchspersonen sollten Vorschläge machen, wie die Verbrechen reduziert werden könnten. Das Ergebnis war eindeutig: Die Teilnehmer*innen, denen Kriminalität als wildes Tier präsentiert worden war, plädierten eher dafür, die Verbrecher ins Gefängnis zu stecken und strengere Gesetze zu erlassen. Die Teilnehmenden, denen Kriminalität als Virus beschrieben worden war, schlugen dagegen meist vor, die Ursachen zu erforschen, Armut zu bekämpfen und die Bildung zu verbessern. Ein Wort hatte den Ausschlag gegeben. Beide Gruppen gaben übrigens denselben Grund für ihre Entscheidung an: die im Text genannte Kriminalitätsstatistik. Die Zahlen waren aber dieselben.
Gewinner- und Verlierer-Frames
Man kann nicht nicht-framen. Darum sollten Redaktionen sorgfältig reflektieren, welche Wörter und Frames sie nutzen. Jede Nachricht ist vielschichtig, Frames machen Aspekte eines Themas sichtbar oder unsichtbar. Es gibt Gewinner- und Verlierer-Frames. Perspektive und Wertung sind immer dabei – ob gewollt oder ungewollt. Dieses Artikel greift Schlagworte und Framings auf, die im Nachrichten-Alltag häufig vorkommen. Die mitgelieferten Perspektiven sowie alternative Beschreibungen (Re-Framings) werden aufgezeigt.
Klassiker im Nachrichten-Journalismus, Geschlechtergerechte Sprache
Framing: Familienvater
Welche Perspektiven/Zuschreibungen werden transportiert? Ein Vater steht über der Mutter. Den Gegenpart „Familienmutter“ gibt es nicht. Herabsetzung von Müttern.
Re-Framing, Alternative: Vater, Familienmutter
Welche Perspektiven/Zuschreibungen transportieren die Alternativen? Wird von „Vater“ gesprochen, herrscht sprachliche Geschlechter-Gerechtigkeit. Alternativ kann auch der Begriff „Familienmutter“ populär gemacht werden.
Framing: Gewalt gegen Frauen
Welche Perspektiven/Zuschreibungen werden transportiert? Die Frauen stehen im Mittelpunkt. Die Verursacher der Gewalt – i.d.R. Männer – werden sprachlich unsichtbar.
Re-Framing, Alternative: Männergewalt
Welche Perspektiven/Zuschreibungen transportiert die Alternative? Die Ursache des Problems wird sichtbar.
Framing: Babypause
Welche Perspektiven/Zuschreibungen werden transportiert? Eine Frau macht Pause. Wer nicht arbeitet, ist faul. Familienzeit wird abgewertet. Babys sind Frauensache. (Männer machen i.d.R. keine Babypause.)
Re-Framing, Alternative: Elternzeit
Welche Perspektiven/Zuschreibungen transportiert die Alternative? Eltern (nicht die Mutter!) nehmen sich Zeit für Familie. Familie und Familienarbeit werden aufgewertet.
Framing: Familiendrama, Sorgerechtsdrama, Beziehungstat
Welche Perspektiven/Zuschreibungen werden transportiert? Wird häufig verwendet, wenn Männer ihre (Ex)-Partnerinnen töten. Eine unbestimmte „Tragödie“ steht im Fokus, die getötete Frau verschwindet sprachlich.
Re-Framing, Alternative: Mann tötet (Ex)-Partnerin, Frauenmord, Frauentötung
Welche Perspektiven/Zuschreibungen transportieren die Alternativen? Das Opfer wird sichtbar. Und die Tat. (Ob Mord oder Totschlag vorliegt, entscheiden Gerichte.)
Framing: Lebensschützer
Welche Perspektiven/Zuschreibungen werden transportiert? Menschen setzen sich für den Schutz von Leben ein. Das ist ausschließlich positiv. Dass Frauen die Entscheidungshoheit über ihren Körper und ihr Leben abgesprochen wird, wird sprachlich unsichtbar.
Re-Framing, Alternative: Abtreibungsgegner
Welche Perspektiven/Zuschreibungen transportiert die Alternative? Menschen setzen sich gegen Abteibungen ein. Eine positive Überhöhung von Menschen, die Abtreibungen ablehnen, wird sprachlich vermieden.
Framing: Opfer
Welche Perspektiven/Zuschreibungen werden transportiert? Ein Opfer ist hilflos, schwach und ohnmächtig. Opfer werden bemitleidet. Aus dem Blick gerät, dass sich manche Opfer von Gewalt zurück ins Leben kämpfen.
Re-Framing, Alternative: Überlebende
Welche Perspektiven/Zuschreibungen transportiert die Alternative? Die Stärke von Menschen, denen Schlimmes wiederfahren ist, wird sichtbar. Überlebenden kann man auch Respekt zollen.
[1] Elisabeth Wehling: Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht
[2] Außer Sprache gibt es diverse andere (irrationale) Faktoren, die menschliches Denken und Handeln beeinflussen. Den Stand der Forschung fassen diese Bücher gut zusammen: „Schnelles Denken, langsames Denken“ (Daniel Kahnemann) und „Nudge“ (Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein)